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Multi Media Theater NEW AFFAIRE, Machine: Paul Landers, Annette Riedel, Bo Kondren, Heike Schmalfuß
 
Die Kunstwelt
 

Die vielen teils unbeschreiblichen Bilder (Ines Rastig, Arnim Bautz) und tänzerische Aktionen sind kaum zu deuten, würde man sie dadurch doch ihrer Assoziationskraft berauben. Eindringlichkeit ist wohl ein herausragendes Merkmal dieser Kunstwelten wie auch der Musik. Es wäre unsinnig, letztere in aktuelle Welten einzuordnen. Dies würde schwer gelingen, zu eigenwillig ist ihre Struktur.

Episch könnte man diese Musik nennen, denn fast alle Titel bestehen ausschließlich aus kurzen viertaktigen Phrasen, die in einer scheinbaren Endloswiederholung suggestive Eindringlichkeit erreichen. Musik zwischen Sehnsucht und Zorn, zwischen Melancholie und Aggressivität. Der musikalische Gestus der einzelnen Szenen findet sich auch in der darstellerischen Präsentation der Musiker, ihren ausgestellten Handlungen wieder, die zwischen stupider Gleichgültigkeit, herausfordernder Trotzigkeit und melancholischer Traurigkeit angesiedelt sind. Da ist nicht nur Aufruhr in den Augen, sondern auch ehrliche Hilflosigkeit.

Das herausragende Strukturmerkmal des Projektes ist die Ungeordnetheit, ist die Überlagerung der Musik- und Sprachfetzen, der Bilder und tänzerischen Bewegungen, die alle nur noch als Splitter, als Bruchstücke einer Kunstwelt wahrgenommen werden. Und selbst diese verändern beständig ihr Dasein, sind stetigen Überformungen ausgeliefert. So war NEW AFFAIRE nie fertig, von Aufführung zu Aufführung gab es Veränderungen – work in progress, kein Fixieren, sondern permanente Arbeit am Material. Werkstruktur offenbart hier gleichzeitig Weltsicht einer Generation, für die Realität als Ereignisflut wahrgenommen wird; Realitäten, die nur für Momente und Bruchstückhaft existieren; Welten von denen schwer zu sagen ist, ob sie real oder nur mediale Produkte sind. Entropie der Gedanken und Gefühle. Eine Welterfahrung, die für diese Generation schwer auf den Punkt zu bringen, die kaum strukturierbar ist. NEW AFFAIRE funktioniert so auch als ungewollter Reflex heutiger Lebensprozesse.

Erlebbar wird das für den Zuschauer in einer für ihn unantastbaren Kunstwelt, einem metaphorischem Vexierbild. Die Bühnenbegrenzung wird durch keine Kontaktaufnahme mit dem Publikum durchbrochen, dazwischen liegt ein Schleier in Gestalt der Vorhänge, die für den Moment eines Abends beiseite gezogen werden und Einblicke in die verborgene Welt gewähren, von der schwer zu sagen ist, ob sie Realität oder Traum ist, Alptraum oder Vision. Für den Zuschauer herrscht Verwirrung und er fragt sich, wo er sich eigentlich befindet. Verwirrung aber als Moment der Unruhe ist der erste Schritt zur Befragung von Realität, ist der Impuls zum Aufsprengen von Gleichgültigkeit.